Die Digitalisierung des Einzelhandels – Stationär, Online, Mobile... Ungenutzte Chancen oder Risiken?
Zusätzliche Portale ermöglichen zu dem favorisierten Produkt und/oder Service den preiswertesten Anbieter anzuklicken. Der trainierte und gut vernetzte Consumer, wie man heute den modernen Verbraucher nennt, erledigt diese Dispositionen in wenigen Minuten. Das nennt man Onlinehandel.
Wir lehnen uns noch einmal zurück… Versandhandel, Neckermann, Quelle - diese Namen existieren heute so nicht mehr. Vielleicht erinnern wir uns noch an den Otto-Katalog! Um den Couchtisch saß man da, der dicke Katalog wurde gewälzt, die Bestellkarte ausgefüllt, Briefmarke drauf und in den nächsten Postkasten geworfen. Die bestellte Ware mit Rechnung kam dann, etwa in 10 Tagen. Rechnung wurde bezahlt, das Prinzip Ware gegen Geld blieb irgendwie bestehen.
Der Onlinehandel war die logische Fortsetzung des Versandhandels. Er ersetzt ihn jedoch nicht, da die bestellten Leistungen auch zugestellt werden müssen. Der Transportvorgang nach der Bestellung hat sich nicht wesentlich geändert, aber das Aussuchen und Bestellen für den Kunden an sich hat sich verändert. Statt Katalog und Bestellkarte wird über den PC oder Notebook die Webseite des Anbieters angeklickt. Der Konsument kann nun breiter und nutzungsorientierter aussuchen sowie ordern, und zahlt überwiegend bargeldlos - bereits mit dem Bestellvorgang.
Smarter Shoppen
Die mobilen Endgeräte optimieren nun den Onlinehandel rasant. Schon heute besitzt jeder Zweite ein Smartphone, jeder Fünfte ein Tablet-PC, bei weiter steigender Verbreitung. Die meisten Nutzer sind permanent im Netz erreichbar. Weil das so ist, kaufen sie mit dem Smartphone auch ein. Geht diese Entwicklung zu Lasten des stationären Einzelhandels? Ist er der klassische Verlierer mit allen Konsequenzen für viele gesellschaftliche Bereiche?
Der Kunde ist nicht nur Akteur im Onlinehandel, sondern kann von allen Händlern während eines Shopping-Prozesses begleitet werden. Denn auch der klassische Einzelhändler kann über das Internet eine Verbindung zu seinem Kunden über eine eigene App suchen. Der Kunde identifiziert sich damit am Eingang des Supermarktes. Von diesem Moment an ist diese App sein Shopping-Assistent. Der Kunde klickt einen Rotwein an, die App beschreibt den Geschmack und weist auf Alternativen hin und führt den Kunden zum Regal. Während er die Flasche in den Einkaufswagen legt, schlägt ihm die App dazu eine passende Mahlzeit vor, mit den entsprechenden Erzeugnissen und Zubereitungsrezepten, die gut zu dem Wein passen würden. So wie der Krämer das einst face to face machte.
In ähnlicher Form wird diese Multi-Channel-Strategie auch vom Möbelhandel genutzt. So können beispielsweise erklärungsbedürftige und konfigurierbare Produkte, wie Sitzelemente oder Regalsysteme, im Web so digital präsentiert werden, dass der Kunde sie für seine Vorstellungen und Raumbedürfnisse virtuell vermessen kann. Die Kaufanbahnung findet im Web statt und wird im Möbelcenter, das bereits existiert, durch persönliche Beratung und Serviceangebote ergänzt.
Standortbezogene Shopping-Apps sind weitere Anwendungen dieses mobilen Commerce. Sie zeigen das Angebot verschiedener Handelsketten und Ladengeschäfte in der unmittelbaren Umgebung des Konsumenten. Die gesuchten Markenschuhe gibt es nach dieser App eben nicht nur beim Onlinehändler, sondern auch im Laden 150 m weiter. Der Weg dorthin wird sofort auf einer Karte aufgezeigt. Die Schuhe werden anprobiert, der Kauf erfolgt unmittelbar. Das Fachgeschäft hat einen Kunden behalten. Die sofortige Verfügbarkeit der Waren bleibt immer eine wesentliche Stärke des stationären Handels.
Doch diese Shopping-Apps können noch weitaus mehr: über die
Bewegungsprofile des Kunden können den Einzelhändlern über sogenannte Location-based Services ganz neue
Möglichkeiten eröffnet werden. Abhängig von seiner GPS-Ortung wird der
Smartphone-Nutzer auf besondere Angebote des Einzelhandels in seiner Umgebung
aufmerksam gemacht, im besten Fall sogar in das werbende Ladengeschäft per
Navigation geführt. Klar, der Kunde muss es akzeptieren und mögliche Bedenken
in Bezug zum Datenschutz ausblenden.
Die Bedeutung des Social-Media-Marketings macht keinen
Unterschied zwischen dem Online- und stationären Einzelhändler. Auf Plattformen
wie Facebook können sich Kommentatoren über Produkte und Services informieren
und austauschen. Eigene Facebook-Seiten koppeln die crossmedialen Ansätze der
Akteure.
Abbildung 1: Entwicklung des interaktiven Handels analog zum gesamten Einzelhandel. |
Chancen der Digitalisierung nutzen
Dieser Mix der Interaktionen zwischen Konsumenten und Anbietern entwickelt sich vielfältig und beeinflusst andere Politikfelder, besonders den Städtebau. Die Innenlagen kleiner und mittlerer Städte veröden, mehr inhabergeführte Fachgeschäfte mit hoher Beratungskompetenz verschwinden aus dem Stadtbild, im ländlichen Raum können die zumeist älteren Einwohner in ihren Dörfern nicht einmal ihre eigene Grundversorgung mit Lebensmittel sicherstellen. Das ist die Kehrseite einer Medaille. Aber die Beispiele belegen außerdem, dass in prosperierenden Städten die Konsumenten für Shopping, verknüpft mit Erlebniszonen für Jung und Alt, Gastronomie sowie Entertainment, animiert werden können.
Letztendlich profitiert der ländliche Raum auch vom digitalisierten Handel. Die Produkte und Dienstleistungen kommen zu dem Kunden, nur eben anonymer. Und zunehmend ist dieser Trend auch bei Lebensmitteln und Frischwaren zu beobachten. Zu jedem Zeitpunkt kann man alles über mobile Endgeräte bestellen, eben auch Lebensmittel. Bei einer stärkeren Regionalisierung, wie es augenblicklich eine große Supermarktkette versucht, wird die Zustellung des täglichen Bedarfs unmittelbar in wenigen Stunden ohne Unterbrechung der Kühlkette an jedem Ort gewährleistet.
Beide Entwicklungsachsen bezüglich der Chancen und Risiken bedingen sich gegenseitig: im ländlichen Raum gibt es keinen Grund wegzuziehen. Und für den innovativen Einzelhändler in den urbanen Räumen ergeben sich neue Marketingchancen, die Stamm- und Laufkundschaft wieder an sich zu binden. Im Einzelhandel geht es folglich nicht um die Entscheidung, ob online oder offline, sondern vielmehr um ein neues Verständnis des Geschäftsmodells. Und die Digitalisierung macht das nun sichtbar.
Ernst Hubert von Michaelis
Sales Representative
PROMOS consult
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